
Jan Novak in Madagaskar
Ambalavao, Ambalavaoooo, ruft der Fahrer eines überfüllten Transportwagens!
Er versucht noch zwei weitere Passagiere zu finden, um die Kapazität seines zweifelhaften Minibusses voll auszuschöpfen, während er gleichzeitig alle möglichen Gepäckstücke auf dem Dach verstaut und festbindet – von Reissäcken über Bierkisten, Käfige mit Enten, einen Sack Kohle bis hin zu einem kaputten Motorrad.
Es gibt keinen Fahrplan. Beim Taxi-Brousse bekommt man nur eine ungefähre Abfahrtszeit und ein ungefähres Ziel. Wann man tatsächlich ankommt – oder ob überhaupt – bleibt völlig offen.
Endlich ist der Bus voll und wir fahren los!
Der Fahrer dreht das Radio voll auf: lokale Folklore wie „Zuk“, „Tsapiky“ und ähnliche Stile, so laut, dass die Lautsprecher übersteuern. Keiner der Passagiere scheint sich daran zu stören – außer mir. Der Wagen hat kaum Kraft bergauf, aber bergab oder auf der Ebene fährt er Vollgas. Alles innen und außen rüttelt, und man hofft nur, dass das Auto heute nicht auseinanderfällt. Wir versuchen Schlaglöchern, Hühnern und afrikanischen Rindern – Zebu – auszuweichen und gleichzeitig die Geschwindigkeit zu halten.
Manchmal halten wir abrupt für „kommerzielle“ Stopps: Bierkisten abladen, Kokosnüsse aufladen, ein defektes Motorrad absetzen oder zusätzliche Passagiere auf das Dach nehmen, sobald es keine Polizeikontrolle mehr gibt. Dann gibt es auch „technische“ Stopps, wenn etwas am Wagen bricht und repariert werden muss. Unglaubliche Szenen: der Kühlerschlauch wird durch mehrere Coca-Cola-Flaschen ersetzt oder die Gummistoßdämpfer durch Bambus. Das Taxi-Brousse bleibt auch gern mal im Schlamm stecken – dann muss alles ausgeladen, freigeschaufelt und wieder eingeladen werden. Zudem gibt es zahllose Stopps, deren Sinn uns völlig entgeht.
Im nächsten Dorf ist die Piste unpassierbar, und alle Passagiere gehen zu Fuß weiter.
Hier beginnt das Abenteuer...
Nach fast zwei Jahren ohne Touristen wegen der Pandemie öffnete die Insel im April 2022 wieder. Magdalena und ich stehen nun endlich wieder unter diesen fantastischen Wänden. Ich war schon mehrmals hier, aber jedes Mal bekomme ich Gänsehaut beim Anblick dieser imposanten Felsen.
Die Dorfbewohner haben seit zwei Jahren keine Weißen gesehen, also schauen uns alle wie Außerirdische an. Vorteil: diesmal will niemand Bonbons, Stifte oder Geld von uns. Nachteil: einige Schwierigkeiten, die ich so noch nie erlebt habe. Im April ist es noch sehr heiß mit unvorhersehbaren Stürmen, man kann nur im Schatten klettern – und manchmal ist man in zwei Minuten völlig durchnässt. Der Schatten fällt allerdings erst am frühen Nachmittag auf die meisten Wände, und da die Sonne schon zwischen fünf und sechs Uhr abends untergeht, bleibt wenig Zeit zum Klettern. Dazu kommen lange, teils verwachsene Zustiege und Rückwege im Dunkeln mit Stirnlampe, Linien ohne ein einziges Stück Chalk auf den Griffen – so wird jeder Tag zu einer kleinen Expedition.
Manchmal ist das Gras so hoch und dicht, dass wir uns darin verirren und zwei bis drei Stunden zum Wandfuß brauchen, obwohl der Zustieg eigentlich eine Stunde dauern sollte. Das Durchkämpfen durch dichtes Gestrüpp erschöpft einen völlig, physisch und mental, sodass man fast keine Lust mehr hat, überhaupt zu klettern. Am Ende macht man dann doch ein paar Seillängen, sonst würde das Ganze keinen Sinn ergeben.
Wände ohne Chalkspuren, der Traum jedes Onsight-Fanatikers, können schnell zum Albtraum werden – besonders auf Platten mit 10-Meter-Runouts zwischen den Bohrhaken. Die Abstände sind so groß, dass man manchmal keine Ahnung hat, in welche Richtung man klettern soll. Rechts probiert, gestoppt im glatten Fels, zurückgeklettert, gerade hoch versucht, wieder festgefahren. Runter geht nicht mehr, Absprung wäre tödlich. Also Füße auf Reibung, nicht vorhandene Griffe „greifen“, fast am Weinen, fünfmal hintereinander über die Erstbegeher fluchen – und dann mit geschlossenen Augen den Zug machen. Natürlich sieht die Sache ganz anders aus, wenn Chalk an den Griffen ist – dann machen auch Runouts mehr Spaß. Nach vier Seillängen ist man mental am Ende, und während es dunkel wird, muss man abseilen, um zumindest einen Teil des Rückwegs noch in der Dämmerung zu schaffen. Ergebnis: zerkratzte Arme und Beine, dehydriert, und nur fünf von zwölf geplanten Seillängen geklettert. Frust!
Die Big Walls im Tal gehören zu den schönsten und beeindruckendsten der Welt. Doch die ersten Erfahrungen auf winzigen Leisten und rutschigen Platten können furchteinflößend sein – wegen der „würzigen“ oder gefährlichen Absicherung. Oft sind die ersten Plattenseillängen weitläufig gebohrt, da die Erschließer nur begrenzt Material hatten und die Haken sparsam setzten, um bis zum Ausstieg zu kommen. Es gibt auch die Kategorie Kletterer, die beweisen wollen, dass sie die „größeren Eier“ haben, und bewusst riesige Runouts setzen. Leider wiederholt das kaum jemand und die Linien verschwinden schnell unter Flechten.
Das nächste Krankenhaus nach europäischem Standard liegt auf Réunion. Bei einem Unfall braucht es – mit viel Glück und genug Geld für die Rettung – rund 24 Stunden inklusive Privatflug von Fianarantsoa. Ohne diesen eher 48 Stunden. Selbst ein banaler Unfall kann fatale Folgen haben. Alan Carne erzählte mir von seinem schlimmen Sturz 2018, als er monatelang unter der verspäteten Rettung und einer Infektion litt.
Wenn man jedoch – wie immer – seine Kletterziele den aktuellen Bedingungen anpasst, kann man trotzdem Spaß haben, auch wenn die Realität anders aussieht als der ursprüngliche Traum. Die Beobachtung der umliegenden Natur hilft sehr beim Umdenken: verspielte Lemuren, die ständig nach einer vergessenen Banane rund um dein Zelt suchen, Chamäleons, die versuchen, sich perfekt zu tarnen und sichtlich unwohl wirken, wenn man sie in den Bäumen entdeckt. Am Ende hatten wir ein paar richtig gute Klettertage und tolle Begegnungen mit den Einheimischen – aber bitte, das nächste Mal möchte ich etwas romantischere Ferien und auch ein paar Routen bis zum Ausstieg klettern!
Am Ende unserer Reise hatten wir die Gelegenheit, Thibau kennenzulernen, einen Kletterer, der an der französischen Botschaft arbeitete und an den Wochenenden Sportklettergebiete rund um die Hauptstadt Antananarivo erschloss. Also hatte er eine gute Bohrmaschine, ein paar Haken und vor allem jede Menge Motivation.
Es dauerte nicht lange, bis wir uns gegenseitig überzeugt hatten, zurück nach Tsaranoro zu gehen und uns für das Einbohren einer neuen Linie zusammenzutun. Unser Ziel war es, eine inspirierende Route zu finden und zu eröffnen, die für 6c/7a-Kletterer eine echte Herausforderung darstellen oder für stärkere Kletterer eine gute Aufwärmroute sein könnte. Mit sicheren Hakenabständen, sodass man nicht „die ganze Zeit“ Angst haben muss, sondern nur manchmal – und um einen angenehmen ersten Kontakt mit diesem unglaublichen Granit zu ermöglichen. Thibau hatte zuvor einige leichte Seillängen von unten eingebohrt, ich jedoch nicht. Mit nahezu null Erfahrung, aber mit großer Hoffnung und endloser Motivation gaben wir 100 % Energie, um so schnell wie möglich zu lernen und in dieser einen Woche unser Bestes zu schaffen.
Eines Tages an der Wand hörten wir laute Musik, die durch das ganze Dorf hallte. Zurück im Camp erfuhren wir, dass heute Abend eine Feier zur traditionellen Beschneidung des zweijährigen Jungen Davino stattfand. Das ganze Tal war eingeladen, bis zum Sonnenaufgang zu tanzen und diese Feier unvergesslich zu machen. Barfußtänzer tobten sich aus, so intensiv und schnell, dass sich nach wenigen Minuten alles in eine dichte Staubwolke verwandelte – deshalb nennen wir diese Art von Dorffest „bal poussière“ (Staub-Ball).
Mitte der Woche hänge ich an einem kleinen Haken auf winzigen Crimps, mit der Angst in der Hose, ob das wohl hält oder nicht, und versuche effizient ein Loch zu bohren, um einen weiteren Haken zu setzen. Ich frage mich: „Warum mache ich das?“ – die Antwort ist überraschend klar und einfach: „Das Abendbier schmeckt immer besser, wenn du am Limit deiner physischen oder mentalen Kräfte warst.“
Es gelang uns, eine der interessantesten Linien in Tsaranoro (in diesem Schwierigkeitsgrad) zu eröffnen, mit allen möglichen Kletterstilen. Nach diesem Abenteuer – einer der unglaublichsten Partys und Klettererfahrungen – konnten wir keinen besseren Namen für unsere Route wählen als „Circoncision“, was gleichzeitig einen weiteren Schritt in unserem Kletterleben symbolisierte. Bitte: geht hin, klettert und genießt!
„Circoncision“ – 7a+ max, 6c obligatorisch, ca. 150 m, 5 Seillängen von unten erschlossen + später hat Thibau 2 letzte Seillängen von oben ergänzt.
