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Camilla Moroni's ascent of Histoire sans fin wearing SCARPA's VAPOR S climbing shoes

Für viele Kletter*innen ist der Ruf des Felsens ein leises, aber stetiges Ziehen – konstant, beharrlich und unmöglich zu überhören. Für Camilla Moroni, SCARPA Global Team Athlete und eine der stärksten Wettkampfkletterinnen Italiens, bedeutete es, diesem Ruf zu folgen: einen Schritt hinaus aus der Welt der Hallenwettkämpfe und hinein in die wilde Unberechenbarkeit der Berge.

Frisch von der ersten Frauenbegehung von Histoire sans fin am Mont Blanc zurück, erzählt Camilla, was es wirklich heißt, vom präzisen Weltcup-Training zum anspruchsvollen Reiz des hochalpinen Mehrseillängenkletterns überzugehen. Es ist eine Reise, in der man zu neuer Balance findet, Verletzlichkeit zulässt und die Disziplin, das Durchhaltevermögen und die mentale Stärke des Wettkampfsports in etwas Tieferes verwandelt: Verbindung, Vertrauen und den puren Genuss, die eigenen Grenzen am Fels zu verschieben.

In diesem Interview zeigt sie, wie die Rückkehr zum Wesentlichen des Kletterns den Blick einer Athletin verändern kann – weg von Rankings und Routinen, hin zu dem, was die Leidenschaft ursprünglich entfacht hat: der Berg selbst.

 

Camilla Moroni climbing ‘Histoire sans fin’ on Mont Blanc wearing SCARPA climbing shoes

Wie ist die Idee entstanden, genau diese Route zu klettern? Und was hat sie für dich bedeutet, noch bevor du sie versucht hast? 

Letzten Sommer habe ich Fotos dieser Linie gesehen – und war sofort fasziniert von ihrer Schönheit und Klarheit. Ich habe sie direkt Pie gezeigt, und er war genauso begeistert. Uns war sofort klar: Diese Route müssen wir ausprobieren. Leider fanden wir zwischen Training und anderen Verpflichtungen nie die Zeit. Fast ein Jahr später hatten wir endlich die Gelegenheit, sie gemeinsam anzugehen.

 


Wie viel Zeit habt ihr in die Vorbereitung gesteckt – körperlich, logistisch und emotional?

Wir haben uns eigentlich nicht spezifisch auf diese Route vorbereitet. Ich hatte gerade die Boulder-Weltcupsaison beendet und seit etwa sechs Monaten keinen Gurt getragen, keine Ausdauer trainiert und keinen Fels berührt. Pie hingegen, wesentlich vertrauter mit dem Klettern draußen, kam aus einer intensiven Outdoor-Boulderphase. Logistisch war es etwas aufwendiger als sonst: zweieinhalb Stunden Zustieg mit schweren Rucksäcken, um das Camp zu erreichen, wo wir unser Zelt für drei bis vier Tage aufschlagen wollten. Es war unser erstes Biwak in großer Höhe! Die ersten Tage waren für mich die härtesten. Da ich nicht in Form war, spürte ich die Höhe und die Anstrengung besonders stark. Nach ein paar Tagen Pause im Tal fühlte ich mich bei unserer Rückkehr viel besser – ich hatte mich an die Bedingungen gewöhnt. Emotional war ich erstaunlich gelassen; für mich fühlte es sich wie eine Art Urlaub nach der Wettkampfsaison an.

 


Während der Begehung: Gab es einen Moment, in dem ihr wusstet, dass es klappen würde?

An dem Tag unseres entscheidenden Versuchs war Pie ziemlich überzeugt, dass er die Route durchsteigen würde – die Tage zuvor hatte er auf allen Längen starke Versuche gezeigt. Ich hingegen war alles andere als zuversichtlich. Ich hatte sehr gekämpft und, ehrlich gesagt, selbst Pie glaubte nicht wirklich, dass ich es schaffen würde. Aber wenn ich eines kann, dann in den „Wettkampfmodus“ schalten: dieser mentale Zustand maximaler Fokussierung und Motivation, in dem ich über mich hinauswachse. Wie ich immer sage: It’s not over until it’s over! Nachdem wir beide die 8b+ geschafft hatten, kam die Schlüsselstelle – für mich die 8b-Länge. Pie kletterte sie direkt im ersten Versuch und blieb oben, um mich anzufeuern. Seine Unterstützung war enorm wichtig. Er sagte immer wieder, wir würden so lange bleiben, bis ich sie durchklettere. Beim ersten Versuch rutschte ich mit dem Fuß ab. Ich stieg ab, erholte mich und startete erneut. Das war der Moment größter Anspannung. Nach der Verschneidung blieb nur noch die feine Querung bis zum Stand. Ich versuchte, ruhig und konzentriert zu bleiben. Als ich den Stand klippte, war es eine riesige Erleichterung – für mich und vermutlich auch für Pie, der beim Sichern nervöser war als ich beim Klettern. Da wussten wir: Jetzt ist es geschafft. Es fehlte nur noch die 8a+, die uns an den Tagen zuvor keine großen Schwierigkeiten bereitet hatte.

 

Camilla Moroni focused while climbing ‘Histoire sans fin,’ wearing SCARPA climbing shoes


Ihr seid beide 23 – jung, mit Wurzeln im Hallenklettern, jetzt aber mit Blick auf große Wände.

Unsere Wege waren etwas unterschiedlich. Mein Fokus lag immer auf den Wettkämpfen, und das wird mindestens bis Los Angeles 2028 so bleiben. Pie hingegen hat sich dieses Jahr ganz dem Fels verschrieben – vom Bouldern bis zu den Big Walls. Für mich ist der Fels eine Möglichkeit, meinen Kopf nach langen Wettkampfsaisons wieder aufzuladen. Ich brauche das. In den letzten Jahren habe ich selbst begonnen, diese neue Welt zu erkunden – auf der Suche nach neuen Reizen, Herausforderungen und Dingen, die ich lernen kann. Ich sage gern über mich: eine Wettkampfkletterin, die dem Fels verfallen ist.

 


Vor einem Jahr warst du bei den Olympischen Spielen in Paris – jetzt hast du eine erste Frauenbegehung am Mont Blanc geschafft. Wie siehst du deine Entwicklung in den nächsten Jahren (und die des Sports)?

Wie gesagt: Bis Los Angeles 2028 werde ich mich klar auf die Wettkämpfe konzentrieren, denn eines meiner Ziele ist die erneute Olympiaqualifikation. Das Felsklettern ist ein paralleles Projekt, das ich in den wenigen freien Momenten verfolge. Im Moment spielt es eine kleinere Rolle, aber nach meiner Wettkampfkarriere wird es sicher wichtiger. Ich glaube, mein Weg ist heute eher ungewöhnlich. Immer weniger Wettkampfkletterer wechseln zum Fels – weil der Sport wächst und mehr Zeit verlangt, aber auch weil viele junge Menschen das Klettern in der Halle entdecken. Wenn niemand ihnen die Leidenschaft für den Fels vermittelt, ist es schwer, dass sie sich von selbst entwickelt. Ich habe dank meiner Eltern angefangen, die mich mit an den Fels genommen haben. Dort ist meine Leidenschaft entstanden – und heute kann ich mir ein Leben ohne Fels nicht mehr vorstellen.

 


Hast du den „Druck“ gespürt, die erste Frau auf dieser Route zu sein? Oder war es für dich eine persönliche Begehung?

Natürlich ist der Gedanke an eine erste Frauenbegehung reizvoll, aber der wahre Grund, warum ich diese Route klettern wollte, war ihre Schönheit und ihr ästhetischer Verlauf. Eine sehr luftige und technische Linie, auf der man jederzeit mit dem Fuß abrutschen kann, wenn man nicht völlig konzentriert ist. Für mich war es vor allem eine persönliche Herausforderung – raus aus der Komfortzone des Wettkampfs, hinein in etwas Neues.

 


Hat dich diese Begehung verändert – als Athletin und als Mensch?

Diese Begehung hat meinen Weg als Kletterin bereichert und mir Erinnerungen geschenkt, die ich lange mit mir tragen werde. Als Athletin habe ich eine Art des Kletterns wiederentdeckt, die dich auf andere Weise fordert – sie verlangt Geduld, Anpassungsfähigkeit und viel Vertrauen in die Fußtechnik. Als Mensch hat es mir gutgetan, etwas so Intensives zu erleben, fern von der Hektik der Wettkämpfe. Ich habe die Freude am Klettern wiedergefunden, ohne an Punkte oder Platzierungen zu denken.

Nur ich und die Wand.

 

SCARPA athlete Camilla Moroni on Mont Blanc while climbing ‘Histoire sans fin‘.